Ein Schleiereulengelege besteht in der Schweiz durchschnittlich aus 5 Küken. Während der zwei Monate, in denen sie aufwachsen, tauschen sich die kleinen Eulen im Nest lautstark aus. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass die Jungvögel so verhandeln, wer die nächste Beute bekommt, die die Eltern mitbringen.
5/9 Diese Grafik zeigt die Dauer der Rufe im Zeitverlauf. Jeder Punkt stellt einen Ruf dar und jede Farbe ist einem Küken zugeordnet. Hier sieht man zwei Küken „reden“. Beide ergreifen abwechselnd das Wort. So drücken die Küken aus, wie gross ihr Hunger ist.
Anders als bei anderen Vögeln besteht das Gelege bei Schleiereulen aus Jungvögeln unterschiedlichen Alters. Das Weibchen legt alle 2 bis 3 Tage ein Ei. Direkt nach dem ersten Ei beginnt es zu brüten, sodass die Jungen jeweils im Abstand von einigen Tagen schlüpfen. Auf diese Weise sind die Küken im Nest alle unterschiedlich alt. In einer durchschnittlichen Brut von 5 Küken ist das älteste also etwa 10 Tage älter als das jüngste. Diese Unterschiede in Alter und Kraft könnten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen, insbesondere bei der Verteilung der Nahrung. Das ist jedoch nicht zu beobachten.
Lautstarke Verhandlungen
Unsere Forschungen zur Kommunikation zwischen Schleiereulengeschwistern haben gezeigt, dass die Jungen durch ihre Rufe verhandeln, wer die nächste Beute bekommt, die die Eltern ins Nest bringen. Die kleinen Eulen passen ihr Verhalten an das ihrer Geschwister an. So gibt es soziale Regeln, die eingehalten werden müssen, etwa die, dass jeder einmal zu Wort kommt. Das Grundprinzip lautet: Mit längeren und häufigeren Rufen zeigt ein Küken an, dass es grossen Hunger hat. Jeder Jungvogel drückt sich auf diese Weise aus und in der Regel darf das hungrigste Küken die Beute direkt vom Elternvogel erbetteln, während die anderen ihm den Vortritt lassen. So werden Konflikte vermieden.
Altruistische Verhaltensweisen
Diese friedlichen Verhandlungen werden von anderen bemerkenswerten Verhaltensweisen begleitet. So ist es zwischen Geschwistern etwa üblich, sich gegenseitig die Parasiten aus dem Gefieder zu klauben und die Federn zu glätten. Man beobachtet zwar auch das Stehlen von Beute oder sogar Kannibalismus an toten Küken, ebenso jedoch auch die Weitergabe von Nahrung, vor allem, wenn sie reichlich vorhanden ist. Die ältesten und gesündesten Küken geben ihre Beute dabei den hungrigsten oder denen, die vorher bei ihnen am ausgiebigsten Gefiederpflege betrieben haben. Fazit: Die Schleiereule ist zwar ein gefrässiger Raubvogel mit scharfem Schnabel und scharfen Krallen, zeigt sich aber gegenüber Artgenossen deutlich friedfertiger.