Populationsbewegungen

Mithilfe von Genanalysen untersuchen wir die Entwicklungsgeschichte und die genetischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Eulenpopulationen. Auf verschiedenen zeitlichen und geografischen Ebenen zeichnen wir so die Populationsentwicklung dieser Vögel nach. 


Geschichte der Eulen

Neben der Schleiereule, die man in der Schweiz finde, gibt es noch zahlreiche andere Eulenarten auf der Welt. Der gemeinsame Vorfahre all dieser Eulen tauchte vor mehr als 45 Millionen Jahren in Asien auf. Von dort aus besiedelten die Eulen nach und nach die ganze Erde und trennten sich in verschiedene Arten. Schleiereulen findet man heute fast überall auf der Welt. Am häufigsten kommen die in Europa und Afrika verbreitete Schleiereule (Tyto alba), die Amerika-Schleiereule (Tyto furcata) in Amerika und die Sunda-Schleiereule (Tyto javanica) in Australasien vor. Früher wurden sie alle zur selben Art gezählt. Es gibt noch andere, entfernter verwandte Arten wie die Neuhollandeule, die Flecken-Russeule, die Russeule oder die Goldeule. Wir untersuchen die Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Arten, um die Evolutionsgeschichte der grossen Familie der Schleiereulen, der Tytonidae, nachzuvollziehen. So finden wir heraus, wer am engsten miteinander verwandt ist und auf welchen Wegen sich die Arten über den Globus verbreitet haben.


Notgedrungene Wanderungen

Während der Eiszeiten auf der Erde zogen sich viele Lebewesen in sogenannte „Refugien“ zurück, Orte mit milderem Klima, an denen sie überleben konnten. Am Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren begannen die Tiere, die nach Nordafrika, in den Nahen Osten oder auf die Iberische Halbinsel geflüchtet waren, Europa erneut zu besiedeln. Anhand von Genanalysen vieler Schleiereulen, die ihre Herkunft in ihrer DNA tragen, konnten wir zeigen, dass die heute in Europa ansässigen Tiere hauptsächlich aus einem Refugium auf der Iberischen Halbinsel stammen.


Die Wanderungen von Tierpopulationen werden häufig durch physische Barrieren wie Bergketten oder grosse Gewässer eingeschränkt. Diese Elemente müssen wir bei unseren Analysen berücksichtigen. Die Untersuchung der weltweiten Wanderungen der Eulenpopulationen zeigt, dass die Schleiereulen Gebirgsketten (etwa die Alpen oder die Rocky Mountains in den USA) umgehen und nur wenige Meere, zum Beispiel den Ärmelkanal, überqueren.


Zunehmend detaillierter

Mit den heutigen genetischen Verfahren und der Rechenleistung, die uns zur Verfügung stehen, lassen sich grosse Datenmengen analysieren. Auf diese Weise konnten wir das gesamte Genom entschlüsseln, also die gesamte DNA eines Individuums (während das vorher nur bei wenigen Teilstücken der DNA möglich war). Das Genom einer Schweizer Eule wurde sequenziert, ebenso wie das anderer Eulen aus Europa und um das Mittelmeer.


Anhand dieser neuen Daten können wir die demografische Geschichte der europäischen Eulen genauer betrachten. Sie werden auch bei der Untersuchung von Sonderfällen helfen, etwa auf Mittelmeerinseln, auf denen es möglicherweise sehr alte Populationen gibt, die dort die letzte Eiszeit überlebt haben.


Ein weiterer interessanter Fall sind die Schleiereulen in Grossbritannien und Irland. Diese Eulen sind weiss, während ihre Gegenstücke auf dem Festland auf dem gleichen Breitengrad rotbraun sind. Die Farbe der Schleiereule ist genetisch festgelegt. Derartige Unterschiede zwischen den Populationen auf den britischen Inseln und dem Kontinent werfen daher Fragen hinsichtlich ihres jeweiligen genetischen Erbes auf, also der Gesamtheit der Gene jeder Population. Gibt es genetische Unterschiede zwischen diesen Populationen? Haben sie sich getrennt entwickelt? Wir untersuchen, welche Mechanismen diese Farbunterschiede erklären und warum sie fortbestehen (Auswahl, Zufall usw.).